6 Monate nach meiner Operation lag ich bei meinem Arzt auf der Bank und guckte ihn mit großen, erwartungsvollen Augen an. Ich wollte nur eins hören: „Dein Kreuzband sitzt und du darfst nun wieder über das Feld toben“. Als er diese Worte sagte, war ich natürlich überglücklich, aber hätte ich mit 20 gewusst, dass diese Aussage eigentlich total nichtig war… dann hätte ich mir vielleicht ein Band weniger gerissen. Mein operierender Arzt, Dr. Frosch, heute Professor, war damals noch nicht so weit zwischen mechanischer Stabiltität und funktionellen Fähigkeiten für die Rückkehr zu unterscheiden. Heutzutage würde ein Gespräch in einigen Praxen schon anders ablaufen, da „Return to play“ unter der Ärzten in den letzten Jahren einen hohen Stellenwert eingenommen hat. Mehr und mehr Operateuren ist bewusst, dass sie ihre Athleten ohne entsprechende Hinweisung ungewollt schnell wiedersehen (teilweise bis zu vier mal für vier OPs), da sich die Spieler immer wieder erneut verletzten.
Doch wenn nicht die mechanische Stabiltität ausschlaggebend ist, was ist es dann?
In der Fachsprache redet man von der funktionellen Stabilität. So kann wie folgt beschrieben werden:
Funktionelle Stabilität
Im Gegensatz zur mechanischen Stabilität, welche durch Bänder und Gelenkstrukturen gegeben ist, wird die funktionelle Stabilität primär durch das Zusammenspiel von Muskeln gewährleistet. Dabei gibt es Gelenke, die von einer hohen mechanischen Stabilität profitieren, wie z.B. das Hüftgelenk und Gelenke, die primär funktionell durch Muskeln stabilisiert werden, wie z.B. die Schulter. Die Stabilität des Kniegelenkes ist eine Addition von mechanischer und funktioneller Stabilität. Insbesondere die Kreuzbänder tragen hier zur mechanischen Stabilität bei. Die Muskeln, die das Bein funktionell führen, sind zum einen die Muskeln direkt um das Kniegelenk und zum anderen die Fuß- und Hüftmuskeln. Eine hohe funktionelle Stabilität, bezogen auf das Knie, bedeutet, dass der Athlet in jeder Situation und Bewegungsausführung, die Beinachse stabil halten kann. Das Knie „wandert“ bei einer Landung nicht unkontrolliert durch die Gegend. Besonders gefährlich sind dabei die Bewegungen des dynamischen Valgus, eine X-Beinstellung.
Testen der funktionellen Stabilität für „Return to play“ nach Kreuzbandriss
In der Literatur wird eine Vielzahl von Übungen diskutiert, um die Fähigkeiten für den Wiedereinstieg zu testen. Dabei stechen immer wieder drei Kriterien durch:
- Checkung der Becken-Bein-Achse
- Testung der Performance von betroffener und nicht betroffener Seite
- Stabilisierung nach unvorhergesehenen Reizen
Im folgenden möchte ich dir drei beispielhafte Übungen nennen, wie du diese Fähigkeiten testen kannst
1. Checkung der Becken-Bein-Achse
Der grundlegende gängige Test zur Beurteilung deiner funktionellen Stabilität, ist die einbeinige Kniebeuge1. Eine Reihe von Studien zeigen, dass Patienten mit einem Kreuzbandriss ein anderes Bewegungsverhalten zeigen als gesunde Patienten2 und in der Performance schlechter abschneiden 3.
Dabei achtest du auf:
- einen geraden Oberkörper
- die Kniestellung (Knie fällt nicht nach innen)
- Gesäß wird möglichst weit nach hinten geschoben
- Hüfte bleibt gerade
- Fuß zeigt nach vorne
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2. Testung der Performance von betroffener zu nicht betroffener Seite
Zur Testung, ob deine Beine in etwa wieder gleich stark sind, wird zu 90% der einbeinige Hüpftest auf Sprungweite durchgeführt. Viele Patienten haben noch 6-9 Monate postoperativ in diesem Bereich Defizite4 5. Dies betrifft nicht nur den Sprung in die Weite, sondern auch andere Sprungtypen, die vor dem Wiedereinstieg in Testbatterien durchlaufen werden 6 7 8. Dabei vergleichst du die betroffene Seite mit der unbetroffenen Seite. Du solltest mindestens 90% schaffen, bevor du wieder in die Spielsportart einsteigst. Besser sind 100 %. Die Performance-Unterschiede zwischen Kreuzbandpatienten und Gesunden sind noch deutlicher, wenn vor den Tests ein Ermüdungsprotokoll durchlaufen wird. 9
Neben Unterschieden in der Sprungweite, gibt es auch bei diesem Test eine Reihe von Belegen, die besagen, dass die Kreuzbandpatienten ein anderes Bewegungsmuster haben als die Gesunden 10. Die rekonstruierten Patienten landen z.B. mit gestreckteren Knien und mit mehr Valgus.
Als Richtmarken für dich:
- Hände in die Hüfte
- keine Seitneigung des Oberkörpers
- kein Nachhopsen
- kein Absetzen des Fußes der Spielbeinseite
- kein Wegknicken des Knies nach innen
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3. Stabilisierung nach unvorhergesehenen Reizen
Für diesen Test brauchst du einen Partner. Wenn du in die Luft springst, soll er dich von allen Seiten stupsen, ziehen und ärgern können, ohne dass du aus dem Gleichgewicht kommst. Insbesondere für Kontaktsportarten wie Fußball, Handball, Basketball und Rugby unerlässlich! Studien zeigen, dass Training mit unerwarteten Stößen die Bewegungskinematik verbessert, die muskulären Aktivierungsmuster und schließlich die funktionelle Stabilität, welches sich durch weniger „Giving ways“ geäußert hat, normalisiert hat 11 12 13.
Entsprechendes Video auf Instagram folgt noch.
Natürlich gibt es noch weitere sinnvolle Tests, die man vor dem Wiedereinstieg durchlaufen sollte, um noch weitere geforderte Bewegungsqualitäten abzuschätzen. Aber diese drei sind in meinen Augen erstmal die zentralsten. Was kannst du beim Wiedereinstieg dann noch beachten?
Tipps für den Wiedereinstieg in den Sport
Auch bei dem Wiedereinstieg gibt es ein paar Tipps und Tricks, sich langsam wieder vorzutasten.
Steigerung der Trainingsintensität
Steigerung im sportartspezifischen Training
- Zunächst machst du das normale Warm-Up wieder mit.
- Dann kannst du ein paar Übungen absolvieren, wo du die Laufwege vorher kennst. Sage deinen Mitspielern, dass sie dir in den ersten Einheiten etwas mehr Zeit einräumen sollen. Lieber etwas langsamer, aber die Beine gleich stark belasten als in Schonhaltungen zu verfallen.
- Du kannst dich gerne etwas fordern, aber übertreibe es nicht.
- Steigere dich dann zu Übungen, wo die Laufwege unklarer sind, aber du die Bedingungen noch gut einschätzen kannst.
- Erst zum Schluss steigst du ins Feldspiel ein.
Das Motto sollte stets lauten:
Habe Respekt vor dem, was du tust. Aber keine Angst!
Dein Bauchgefühl wird ein starker Indikator sein, ob du wirklich bereit bist oder nicht. Du wirst vor den Übungen merken, ob du unnormal stark angespannt bist oder ob du dich mit der Situation nicht wohl fühlst. Wenn du Angst hast, gehe einen Schritt zurück und probiere es später erneut. Es wird aber auch einige unter euch geben, die gerne in den Turbogang schalten und sich gar keine Sorgen machen. Auch dieses ist nicht förderlich. Wenn ihr dieser Kategorie Mensch angehört, dann testet vorher immer gut, ob ihr die funktionellen Test wirklich sauber absolvieren konntet. Sonst lauft ihr hohes Risiko zu früh einzusteigen und euch zu verletzen.
Weitere Tipps findest du in meinem Erfahrungsbericht.
Orthopädische Hilfsmittel
Bei den orthopädischen Hilfsmitteln unterscheidet man zwischen Bandagen und Orthesen. Bandagen sollen Rezeptoren in der Haut triggern. Das zusätzliche Feed-Back über die Hautrezeptoren soll den Mangel von Tiefensensibilität im Gewebe kompensieren. Denn leider braucht der Wiederaufbau der Nervenfasern mit etwa zwei Jahren recht lange bis sie wieder zu 100% fungieren 14.
. Teilweise ist dazu die Studienlage sehr unklar. Es gab bisher noch keine richtigen mechanischen Testverfahren, um diese Fragestellung gut zu untersuchen. In der Regel wurde versucht sich über Gleichgewichtstest oder Stellungswahrnehmung des Kniegelenks an das Thema ranzutasten. Neue vielversprechende Ansätze kommen aus der neuronalen Forschung. Dort konnte gezeigt werden, dass eine Applikation eines Strumpfes oder einer Bandage die Aktivitäten im prämotorischen Cortex und im linken Assoziationszentrum erhöht. Dies könnte ein Indiz sein, dass mehr Informationen vom Knie zum Gehirn fließen und diese dann dort verarbietet werden15.
Die Verwendung einer Bandage ist in meinen Augen insbesondere beim Wiedereinstieg in den Sport sinnvoll. Dann solltest du den Gebrauch mit der Zeit nach und nach reduzieren. Setze die Bandage nur ein, wenn du sie auch wirklich brauchst. Z.B. empfielt es sich die Bandage nur noch im Feldspiel zu tragen, aber nicht im Warm-Up oder einzelnen Übungen, wenn du dich dort bereits ohne diese sicher fühlst. Besonders angenehm finde ich die Bandagen von Bauerfeind. Diese kratzen nicht und kann man gut tragen. Dafür sind sie aber auch in der Regel etwas teurer als von Konkurenten. Ich denke, man sollte sich vorher im Klaren sein, wie viel man sie tragen wird und ob sich eine höhere Investition lohnt. Hartrahmenorthesen sind weniger zu empfehlen. Sie rutschen, schränken dich in der Bewegung ein und verlangsamen dich. Nur beim Motorcross sind sie dem Athleten wirklich von Nutzen.
Kinesiotape ist kein klassisches orthopädisches Hilfsmittel, hat aber eine ähnliche Funktion wie Bandagen. Ich habe bereits im Erfahrungsbericht über Kinesiotape geschrieben. Mir persönlich hat es sehr viel geholfen. Wissenschaftlich gesehen tippen wir auch dort noch ziemlich im Dunkeln über die Wirkweise dieses Tools. Eventuell können auch hier fMRI bald neue Erkenntnisse liefern. Ob es einem selber etwas bringt, muss jeder Athlet individuell für sich testen. Ich selber habe gute Erfahrungen mit diesem gemacht.
Ich hoffe, dass dir dieser Artikel etwas bei dem Wiedereinstieg helfen wird. Bei Fragen gerne unten kommentieren.
sportliche Grüße,
Die Fitnesswarriorin
- Roos, P. E., Button, K., & Van Deursen, R. W. M. (2014). Motor control strategies during double leg squat following anterior cruciate ligament rupture and reconstruction: An observational study. Journal of NeuroEngineering and Rehabilitation. https://doi.org/10.1186/1743-0003-11-19 ↩
- Yamazaki, J., Muneta, T., Ju, Y. J., & Sekiya, I. (2010). Differences in kinematics of single leg squatting between anterior cruciate ligament-injured patients and healthy controls. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. https://doi.org/10.1007/s00167-009-0892-zt ↩
- Hall, M. P., Paik, R. S., Ware, A. J., Mohr, K. J., & Limpisvasti, O. (2015). Neuromuscular evaluation with single-leg squat test at 6 months after anterior cruciate ligament reconstruction. Orthopaedic Journal of Sports Medicine. https://doi.org/10.1177/2325967115575900 ↩
- B. de Fontenay, B. P., Argaud, S., Blache, Y., & Monteil, K. (2015). Contralateral limb deficit seven months after ACL-reconstruction: An analysis of single-leg hop tests. Knee. https://doi.org/10.1016/j.knee.2015.04.012 ↩
- Welling, W., Benjaminse, A., Seil, R., Lemmink, K., Zaffagnini, S., & Gokeler, A. (2018). Low rates of patients meeting return to sport criteria 9 months after anterior cruciate ligament reconstruction: a prospective longitudinal study. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. https://doi.org/10.1007/s00167-018-4916-4 ↩
- Itoh, H., Kurosaka, M., Yoshiya, S., Ichihashi, N., & Mizuno, K. (1998). Evaluation of functional deficits determined by four different hop tests in patients with anterior cruciate ligament deficiency. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. https://doi.org/10.1007/s001670050106 ↩
- Gustavsson, A., Neeter, C., Thomeé, P., Grävare Silbernagel, K., Augustsson, J., Thomeé, R., & Karlsson, J. (2006). A test battery for evaluating hop performance in patients with an ACL injury and patients who have undergone ACL reconstruction. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. https://doi.org/10.1007/s00167-006-0045-6 ↩
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- Augustsson, J., Thomeé, R., & Karlsson, J. (2004). Ability of a new hop test to determine functional deficits after anterior cruciate ligament reconstruction. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. https://doi.org/10.1007/s00167-004-0518-4 ↩
- Landing mechanics during single hop for distance in females following anterior cruciate ligament reconstruction compared to healthy controls ↩
- The Efficacy of Perturbation Training in Nonoperative Anterior Cruciate Ligament Rehabilitation Programs for Physically Active Individuals. (2000). Physical Therapy. https://doi.org/10.1093/ptj/80.2.128 ↩
- Perturbation Training Improves Knee Kinematics and Reduces Muscle Co-contraction After Complete Unilateral Anterior Cruciate Ligament Rupture. (2005). Physical Therapy. https://doi.org/10.1093/ptj/85.8.740 ↩
- R., M., & A., P. (2017). Effectiveness of perturbation training on contralateral knee joint to improve stability in anterior cruciate ligament deficient knee joint. International Journal of Pharma and Bio Sciences. https://doi.org/http://dx.doi.org/10.22376/ijpbs.2017.8.2.b72-77 ↩
- Nagelli, C. V., & Hewett, T. E. (2017). Should Return to Sport be Delayed Until 2 Years After Anterior Cruciate Ligament Reconstruction? Biological and Functional Considerations. Sports Medicine. https://doi.org/10.1007/s40279-016-0584-z ↩
- Thijs, Y., Vingerhoets, G., Pattyn, E., Rombaut, L., & Witvrouw, E. (2010). Does bracing influence brain activity during knee movement: An fMRI study. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy. https://doi.org/10.1007/s00167-009-1012-9 ↩
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